Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Die Magd Grusche mochte das verlassene Kind der Fürstin nicht aufnehmen. Liegen lassen kann sie es aber auch nicht. Stumm schreit das Kind nach ihr. Sie schaut auf das Kind. Sie kann nicht gehen. Sie bleibt neben ihm sitzen in der Hoffnung, dass ein anderer kommt, um das Kind zu retten. Bis zum Abend, bis zur Nacht, bis zur Morgendämmerung sitzt sie da. „Bis die Verführung zu stark wurde“ schreibt Bertold Brecht im „Kaukasischen Kreidekreis“. Dann konnte sie nicht mehr anders. Und nahm das Kind mit sich.
Gott verführt zur Barmherzigkeit.
Wir denken so oft, wir müssten unser Herz schützen. Ich habe vier Jahre in Äthiopien gelebt, einem der ärmsten Länder auf der Erde. Not und Elend sind nicht schön und auch nicht romantisch. Meist machen sie Menschen auch nicht liebenswerter. Eine natürliche Reaktion ist, sich zu schützen vor Not und Elend und damit auch vor den Menschen, die davon betroffen sind. Wir möchten nicht mit ihnen in Berührung kommen, die Bilder nicht sehen und davon nicht aufgerüttelt werden. Wir fürchten unser weiches Herz. Wir fürchten, überfordert zu werden. Und wir fürchten, ausgenutzt zu werden. ich habe selbst immer wieder zu mir gesagt: „Ich kann nicht allen helfen.“ „Was kann ich schon tun?“ „Ich weiß gar nicht, was wirklich hilft.“ Mit solchen Worten habe ich versucht, Mauern um mein Herz zu ziehen. Ich wollte mich schützen vor der Not der Anderen, ich wollte gern unberührt bleiben. Aber nicht das geschützte, sondern das weiche, empfindsame Herz ist ein lebendiges Herz.
Trauen wir uns doch! Unsere Gottesebenbildlichkeit drückt sich in Barmherzigkeit aus. Gott will uns nicht überfordern, sondern reich machen. Trauen wir ihm!